Das Programm im Frühjahr 2019

Ludwig van Beethoven

Violinkonzert D-Dur, op. 61

 

Johannes Brahms
Symphonie Nr. 3 F-Dur, op. 90

 

 

Solistin: Sarah Christian

Dirigent: Rida Murtada

Die Sehnsucht nach Frieden – Beethovens Violinkonzert D-Dur op.61

 

Es war ein Teenager, der Ludwig van Beethovens einzigem Violinkonzert zum

internationalen Durchbruch verhalf: Der 12jährige (!) Geiger Joseph Joachim spielte

das hochvirtuose Werk 1844 in einem öffentlichen Konzert in London, und das

Publikum reagierte begeistert. Die Irritationen, die das außergewöhnlich groß

angelegte Violinkonzert noch bei seiner Uraufführung 1806 in Wien ausgelöst hatte,

spielten jetzt, Jahrzehnte später, keine Rolle mehr. Damals hatte ein Kritiker noch

geklagt, das Publikum sei „zu Boden gedrückt worden durch eine Menge

unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult

einiger Instrumente“. Inzwischen aber war längst die romantische Epoche

angebrochen, und das Publikum hörte mit offenen Ohren auf die poetischen

Qualitäten dieser Partitur. Es war in der Lage, dem langen Atem des Solisten zu

folgen und sich von dieser immer wieder auch sehr innigen Musik berühren zu

lassen. Felix Mendelssohn Bartholdy, der das Londoner Konzert mit Joseph

Joachim dirigierte, fühlte sich durch dieses Werk sogar inspiriert, sein eigenes

Violinkonzert e-moll zu schreiben, in dem man das Vorbild Beethovens unschwer

erkennen kann.

 

Zu Beginn des 19.Jahrhunderts hatte Beethoven allein mit dem ersten Satz seines

Konzertes, der an die 25 Minuten dauert, alle Formen gesprengt. Mit der Solo-

Pauke beginnt das Werk, das sich dann aber schnell zu einem monumentalen

Konzert mausert, in dem Beethoven überall „expandiert“ – so verwendet er im 1.

Satz nicht die üblichen zwei kontrastierenden Themen einer Sonatenhauptsatzform,

sondern er präsentiert schon in der Exposition gleich sechs wichtige musikalische

Motive. „In diesem Satz gibt es einen Kampf zwischen verschiedenen Elementen“,

so empfindet es der Geiger Christian Tetzlaff. „Da ist die aggressive Welt, die auch

durch militärische Assoziationen geprägt ist. Und dann gibt es aber auch das

genaue Gegenteil: Ein sonniges Kind mit sehr einfachen, naiven Melodien, die

immer wieder mit diesem Grauen, diesem Gefährlichen konfrontiert werden.“ Dann

entwickle sich der Satz weiter zu einem Moment, den man als Tod begreifen könne,

zumindest aber als ein Nicht-Weiter-Wissen. Aber dann, nach einer wilden Kadenz,

stellten sich Versöhnung und Frieden ein. „Das ist eine große Entwicklung, die mich

auch, nachdem ich das Konzert mehr als 330mal gespielt habe, noch mitnimmt und

berührt.“ Der zweite Satz, Larghetto, klingt sanft und zurückgenommen und erinnert

an Beethovens berühmte Violinromanzen. „Für mich ist das eine religiöse

Prozession“, beschreibt Christian Tetzlaff. „Einfach deswegen, weil Beethoven

absurderweise das Thema viermal hintereinander spielen lässt“. Beethoven

verzichtet in diesem langsamen, liedhaft schlichten Satz auf Flöten, Oboen,

Trompeten und Pauke und lässt die Streicher „con sordino“, mit Dämpfer, spielen.

Ein kraftvolles, tänzerisches Rondo Allegro schließt sich an und rundet das Konzert

nach knapp 45 Minuten effektvoll ab.

 

Unter Geigern gilt dieses anfangs unverstandene und deshalb vernachlässigte, in

Vergessenheit geratene Werk heute längst als eine der größten Herausforderungen

des Repertoires, in technischer Hinsicht, aber auch als „Prüfstein für künstlerische

Reife“, wie Andreas Moser 1927 in seiner „Geschichte des Violinspiels“ schrieb:

 

„Man kann ein ausgezeichneter Geiger sein und doch mit dem Stück nichts

anzufangen wissen, wenn man nicht zugleich ein feinsinniger Musiker ist, der den

Gehalt der Komposition auch geistig ergründet hat“. Aus dieser Zeit stammt die

erste überlieferte Plattenaufnahme des Konzertes – nach zwölfjähriger

Beschäftigung mit dem Werk spielte es 1924 Fritz Kreisler ein. Kurz darauf folgten

Jascha Heifetz und Dutzende anderer prominenter Geiger von Isaac Stern über

Anne Sophie Mutter, Gidon Kremer bis hin zu den „Popstars der Geige“, Nigel

Kennedy und David Garrett. 

 

Zwischen Poesie und Wahn – Johannes Brahms´ Dritte Sinfonie F-Dur

„Das grenzt schon an Wahnsinn, was Brahms hier komponiert hat!“ Dirigent Rida

Murtada probt mit dem Haydn-Orchester eine vertrackte Passage aus dem 1.Satz

der Dritten Sinfonie. Vor allem rhythmisch sind die Streicher und Bläser hier nur bei

voller Konzentration präzise. Ineinander verschränkt und verschachtelt erscheinen

die musikalischen Motive – die Musiker tasten sich langsam an die komplizierte

Partitur heran. Hat Brahms diese anspruchsvolle Sinfonie tatsächlich im Sommer

1883 geschrieben, als er „so reizend“ in einem „hübschen Landhaus mit hohen,

kühlen, luftigen Zimmern“ wohnte? „Unsere Gesellschaft würde dir hier ungemein

behagen“, schrieb Brahms damals an einen Freund. Er genoss die freie Zeit am

Stadtrand von Wiesbaden, in der er still und für sich komponieren konnte. Ohne

jeden äußeren Druck seinen Eingebungen folgen. Fast niemandem erzählte er

davon, dass er an seiner Dritten Sinfonie, der „Wiesbadener Sinfonie“, arbeitete.

Und oft brach er nachmittags allein zu ausgedehnten Spaziergängen in den nahe

gelegenen Taunus auf. In diesen Stunden gewann er die meisten musikalischen

Einfälle, die er erst später, oft am nächsten Morgen, zu Papier brachte.

 

So entstand das viersätzige Werk, auf das u.a. Clara Schumann enthusiastisch

reagierte: „Welch ein Werk, welche Poesie, die harmonischste Stimmung durch das

Ganze, alle Sätze wie aus einem Gusse, ein Herzschlag, jeder Satz ein Juwel! Ich

könnte nicht sagen, welcher Satz mir der liebste! Im ersten entzückt mich schon

gleich der Glanz des erwachten Tages, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume

glitzern, alles lebendig wird, alles Heiterkeit atmet – das ist wonnig! Im zweiten die

reine Idylle, belausche ich die Betenden um die kleine Waldkapelle, das Rinnen der

Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken – das ist ein Schwärmen und Flüstern um

einen herum, dass man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonne der

Natur. Der dritte Satz scheint mir eine Perle, aber es ist eine graue, von einer

Wehmutsträne umflossen. Herrlich folgt dann der letzte Satz mit seinem

leidenschaftlichen Aufschwung – zuletzt die Verklärung, die in einer Schönheit

auftritt, für die ich keine Worte finde.“

 

Brahms war im 19.Jahrhundert ein Vertreter der sog. absoluten Musik, die – im

Gegensatz zu sinfonischen Dichtungen - ohne jedes außermusikalische Programm

geschrieben war. Dennoch regte diese sehr bewegte und bewegende Musik

Assoziationen verschiedenster Art an. Clara Schumann empfand beim Hören „den

geheimnisvollen Zauber des Waldlebens“, und Brahms´ enger Freund und

Wegbegleiter Joseph Joachim assoziierte Hero und Leander: „Ungewollt kommt mir

 

der kühne, brave Schwimmer vors Auge, rüstig und heldenhaft ausholend.“ Als die

Sinfonie am 2.Dezember 1883 in Wien uraufgeführt wurde, versuchten Anhänger

der Neudeutschen Schule, die in der Programmmusik die Avantgarde sahen,

Brahms´ neues Werk nieder zu zischen. Brahms-Biograf Max Kalbeck schildert den

Abend: „Aber das Publikum fühlte sich von dem herrlichen Werke so innig

angesprochen, dass nicht nur die Opposition im Applaus erstickt wurde, sondern die

Huldigungen für den Komponisten einen in Wien kaum zuvor dagewesenen Grad

von Enthusiasmus erreichten, so dass Brahms einen seiner größten Triumphe

erlebte.“

 

Ein halbes Jahrhundert zuvor, 1833, war Brahms in Hamburg zur Welt gekommen.

Sein Vater war Berufsmusiker, Brahms erlernte bereits als Kind das Klavier- und

Cellospiel. Schon mit zehn Jahren erhielt Brahms zusätzlich Kompositionsunterricht.

Als er zwanzig Jahre alt war, veröffentlichte Robert Schumann mit romantischem

Impetus in seiner „Neuen Zeitschrift für Musik“ einen Artikel über Brahms, der in die

Musikgeschichte einging und Brahms´ wichtige Türen öffnete: „Und er ist

gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten.

Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend. Er

trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: Das ist ein

Berufener.“

 

Schumann sorgte dafür, dass ein renommierter Verlag Brahms´ Werke

herausbrachte. Dadurch wurde Brahms in der Musikwelt zu einem so frühen

Zeitpunkt bekannt, dass er sich enorm unter Druck fühlte, nun dauerhaft

Außergewöhnliches zu leisten. Selbstkritisch zerstörte er Werke, die er für nicht gut

genug hielt. Über Düsseldorf und Detmold ging Brahms in die Musikmetropole Wien,

wo er seine Stellung in der internationalen Musikwelt ausbauen konnte. Er wurde

bewundert und mehrfach mit Preisen ausgezeichnet – was er mit dem lakonischen

Ausspruch kommentierte: „Wenn mir eine hübsche Melodie einfällt, ist mir das lieber

als ein Leopoldsorden.“ Brahms, der ledig blieb, darunter litt, es aber auch nicht

wirklich ändern wollte, starb 1897 in Wien im Alter von nur 63 Jahren.

 

 

Texte: Sabine Lange