Ludwig van Beethoven
Violinkonzert D-Dur, op. 61
Johannes Brahms
Symphonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
Solistin: Sarah Christian
Dirigent: Rida Murtada
Es war ein Teenager, der Ludwig van Beethovens einzigem Violinkonzert zum
internationalen Durchbruch verhalf: Der 12jährige (!) Geiger Joseph Joachim spielte
das hochvirtuose Werk 1844 in einem öffentlichen Konzert in London, und das
Publikum reagierte begeistert. Die Irritationen, die das außergewöhnlich groß
angelegte Violinkonzert noch bei seiner Uraufführung 1806 in Wien ausgelöst hatte,
spielten jetzt, Jahrzehnte später, keine Rolle mehr. Damals hatte ein Kritiker noch
geklagt, das Publikum sei „zu Boden gedrückt worden durch eine Menge
unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult
einiger Instrumente“. Inzwischen aber war längst die romantische Epoche
angebrochen, und das Publikum hörte mit offenen Ohren auf die poetischen
Qualitäten dieser Partitur. Es war in der Lage, dem langen Atem des Solisten zu
folgen und sich von dieser immer wieder auch sehr innigen Musik berühren zu
lassen. Felix Mendelssohn Bartholdy, der das Londoner Konzert mit Joseph
Joachim dirigierte, fühlte sich durch dieses Werk sogar inspiriert, sein eigenes
Violinkonzert e-moll zu schreiben, in dem man das Vorbild Beethovens unschwer
erkennen kann.
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts hatte Beethoven allein mit dem ersten Satz seines
Konzertes, der an die 25 Minuten dauert, alle Formen gesprengt. Mit der Solo-
Pauke beginnt das Werk, das sich dann aber schnell zu einem monumentalen
Konzert mausert, in dem Beethoven überall „expandiert“ – so verwendet er im 1.
Satz nicht die üblichen zwei kontrastierenden Themen einer Sonatenhauptsatzform,
sondern er präsentiert schon in der Exposition gleich sechs wichtige musikalische
Motive. „In diesem Satz gibt es einen Kampf zwischen verschiedenen Elementen“,
so empfindet es der Geiger Christian Tetzlaff. „Da ist die aggressive Welt, die auch
durch militärische Assoziationen geprägt ist. Und dann gibt es aber auch das
genaue Gegenteil: Ein sonniges Kind mit sehr einfachen, naiven Melodien, die
immer wieder mit diesem Grauen, diesem Gefährlichen konfrontiert werden.“ Dann
entwickle sich der Satz weiter zu einem Moment, den man als Tod begreifen könne,
zumindest aber als ein Nicht-Weiter-Wissen. Aber dann, nach einer wilden Kadenz,
stellten sich Versöhnung und Frieden ein. „Das ist eine große Entwicklung, die mich
auch, nachdem ich das Konzert mehr als 330mal gespielt habe, noch mitnimmt und
berührt.“ Der zweite Satz, Larghetto, klingt sanft und zurückgenommen und erinnert
an Beethovens berühmte Violinromanzen. „Für mich ist das eine religiöse
Prozession“, beschreibt Christian Tetzlaff. „Einfach deswegen, weil Beethoven
absurderweise das Thema viermal hintereinander spielen lässt“. Beethoven
verzichtet in diesem langsamen, liedhaft schlichten Satz auf Flöten, Oboen,
Trompeten und Pauke und lässt die Streicher „con sordino“, mit Dämpfer, spielen.
Ein kraftvolles, tänzerisches Rondo Allegro schließt sich an und rundet das Konzert
nach knapp 45 Minuten effektvoll ab.
Unter Geigern gilt dieses anfangs unverstandene und deshalb vernachlässigte, in
Vergessenheit geratene Werk heute längst als eine der größten Herausforderungen
des Repertoires, in technischer Hinsicht, aber auch als „Prüfstein für künstlerische
Reife“, wie Andreas Moser 1927 in seiner „Geschichte des Violinspiels“ schrieb:
„Man kann ein ausgezeichneter Geiger sein und doch mit dem Stück nichts
anzufangen wissen, wenn man nicht zugleich ein feinsinniger Musiker ist, der den
Gehalt der Komposition auch geistig ergründet hat“. Aus dieser Zeit stammt die
erste überlieferte Plattenaufnahme des Konzertes – nach zwölfjähriger
Beschäftigung mit dem Werk spielte es 1924 Fritz Kreisler ein. Kurz darauf folgten
Jascha Heifetz und Dutzende anderer prominenter Geiger von Isaac Stern über
Anne Sophie Mutter, Gidon Kremer bis hin zu den „Popstars der Geige“, Nigel
Kennedy und David Garrett.
„Das grenzt schon an Wahnsinn, was Brahms hier komponiert hat!“ Dirigent Rida
Murtada probt mit dem Haydn-Orchester eine vertrackte Passage aus dem 1.Satz
der Dritten Sinfonie. Vor allem rhythmisch sind die Streicher und Bläser hier nur bei
voller Konzentration präzise. Ineinander verschränkt und verschachtelt erscheinen
die musikalischen Motive – die Musiker tasten sich langsam an die komplizierte
Partitur heran. Hat Brahms diese anspruchsvolle Sinfonie tatsächlich im Sommer
1883 geschrieben, als er „so reizend“ in einem „hübschen Landhaus mit hohen,
kühlen, luftigen Zimmern“ wohnte? „Unsere Gesellschaft würde dir hier ungemein
behagen“, schrieb Brahms damals an einen Freund. Er genoss die freie Zeit am
Stadtrand von Wiesbaden, in der er still und für sich komponieren konnte. Ohne
jeden äußeren Druck seinen Eingebungen folgen. Fast niemandem erzählte er
davon, dass er an seiner Dritten Sinfonie, der „Wiesbadener Sinfonie“, arbeitete.
Und oft brach er nachmittags allein zu ausgedehnten Spaziergängen in den nahe
gelegenen Taunus auf. In diesen Stunden gewann er die meisten musikalischen
Einfälle, die er erst später, oft am nächsten Morgen, zu Papier brachte.
So entstand das viersätzige Werk, auf das u.a. Clara Schumann enthusiastisch
reagierte: „Welch ein Werk, welche Poesie, die harmonischste Stimmung durch das
Ganze, alle Sätze wie aus einem Gusse, ein Herzschlag, jeder Satz ein Juwel! Ich
könnte nicht sagen, welcher Satz mir der liebste! Im ersten entzückt mich schon
gleich der Glanz des erwachten Tages, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume
glitzern, alles lebendig wird, alles Heiterkeit atmet – das ist wonnig! Im zweiten die
reine Idylle, belausche ich die Betenden um die kleine Waldkapelle, das Rinnen der
Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken – das ist ein Schwärmen und Flüstern um
einen herum, dass man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonne der
Natur. Der dritte Satz scheint mir eine Perle, aber es ist eine graue, von einer
Wehmutsträne umflossen. Herrlich folgt dann der letzte Satz mit seinem
leidenschaftlichen Aufschwung – zuletzt die Verklärung, die in einer Schönheit
auftritt, für die ich keine Worte finde.“
Brahms war im 19.Jahrhundert ein Vertreter der sog. absoluten Musik, die – im
Gegensatz zu sinfonischen Dichtungen - ohne jedes außermusikalische Programm
geschrieben war. Dennoch regte diese sehr bewegte und bewegende Musik
Assoziationen verschiedenster Art an. Clara Schumann empfand beim Hören „den
geheimnisvollen Zauber des Waldlebens“, und Brahms´ enger Freund und
Wegbegleiter Joseph Joachim assoziierte Hero und Leander: „Ungewollt kommt mir
der kühne, brave Schwimmer vors Auge, rüstig und heldenhaft ausholend.“ Als die
Sinfonie am 2.Dezember 1883 in Wien uraufgeführt wurde, versuchten Anhänger
der Neudeutschen Schule, die in der Programmmusik die Avantgarde sahen,
Brahms´ neues Werk nieder zu zischen. Brahms-Biograf Max Kalbeck schildert den
Abend: „Aber das Publikum fühlte sich von dem herrlichen Werke so innig
angesprochen, dass nicht nur die Opposition im Applaus erstickt wurde, sondern die
Huldigungen für den Komponisten einen in Wien kaum zuvor dagewesenen Grad
von Enthusiasmus erreichten, so dass Brahms einen seiner größten Triumphe
erlebte.“
Ein halbes Jahrhundert zuvor, 1833, war Brahms in Hamburg zur Welt gekommen.
Sein Vater war Berufsmusiker, Brahms erlernte bereits als Kind das Klavier- und
Cellospiel. Schon mit zehn Jahren erhielt Brahms zusätzlich Kompositionsunterricht.
Als er zwanzig Jahre alt war, veröffentlichte Robert Schumann mit romantischem
Impetus in seiner „Neuen Zeitschrift für Musik“ einen Artikel über Brahms, der in die
Musikgeschichte einging und Brahms´ wichtige Türen öffnete: „Und er ist
gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten.
Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend. Er
trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: Das ist ein
Berufener.“
Schumann sorgte dafür, dass ein renommierter Verlag Brahms´ Werke
herausbrachte. Dadurch wurde Brahms in der Musikwelt zu einem so frühen
Zeitpunkt bekannt, dass er sich enorm unter Druck fühlte, nun dauerhaft
Außergewöhnliches zu leisten. Selbstkritisch zerstörte er Werke, die er für nicht gut
genug hielt. Über Düsseldorf und Detmold ging Brahms in die Musikmetropole Wien,
wo er seine Stellung in der internationalen Musikwelt ausbauen konnte. Er wurde
bewundert und mehrfach mit Preisen ausgezeichnet – was er mit dem lakonischen
Ausspruch kommentierte: „Wenn mir eine hübsche Melodie einfällt, ist mir das lieber
als ein Leopoldsorden.“ Brahms, der ledig blieb, darunter litt, es aber auch nicht
wirklich ändern wollte, starb 1897 in Wien im Alter von nur 63 Jahren.
Texte: Sabine Lange
K O N T A K T
Haydn-Orchester Hamburg e.V.
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